ehrenamt
Verleihung Ehrenamtspreis an Rheingau hilft
Pressemitteilung Rheingau-Taunus-Kreis
„Ohne die Hilfe von außen hätten wir es nicht geschafft!“
Etwa 80 aktive Helferinnen und Helfer, über 6.000 Einsatzstunden in zirka 70 Objekten, 168 Hilfsfahrten, um zirka 160 Tonnen an Hilfsgütern von Produkten des alltäglichen Lebens bis hin zu Stromaggregaten in die Krisenregion entlang der Ahr zu transportieren. Das sind die nüchtern Zahlen einer speziellen Hilfsaktion, für die Stefan Dries stellvertretend für die Initiative „Rheingau hilft solidAHRität“ an diesem Abend von Landrat Frank Kilian mit dem Ehrenamtspreis 2022 des Rheingau-Taunus-Kreises ausgezeichnet wird.
Denn als die Bilder von der Unwetterkatastrophe an der Ahr am 15. Juli 2021 über die TV-Monitore flimmerten, handelte Stefan Dries bereits und fuhr belegte Brötchen und Brote an die Ahr, um vor Ort zu helfen, und die Menschen, die in der Nacht zuvor ihr gesamtes Hab und Gut verloren hatten, zunächst einmal mit dem Notdürftigsten, mit Essen zu versorgen. Es blieb nicht die einzige Fahrt in die Region…
Welche menschlichen Schicksale, welche Emotionen und bleibenden Erinnerungen an ein grauenhaftes, auch für Außenstehende tief bedrückendes Ereignis sich hinter diesen nüchternen Zahlen verbergen, lieferten beim „Abend für die Ahr“ am vergangenen Donnerstagabend in Eltville Stefan Dries und Rolf Schmitt in der Kurfürstlichen Burg mittels zweier beeindruckender Foto-Präsentation.
„Bis zum dritten Stock stand das Wasser. Die acht Meter hohe Flutwelle schoss durch den Ort, und riss selbst Häuser mit“, erinnert sich Schmitt. Als das Wasser endlich abfloss, hinterließ es eine „stinkende Schlammwüste“; vor allem auch in Räumen, die einst Wohnungen waren. Es sind anrührende Aussagen über ein bedrückendes Ereignis. „In dieser Nacht veränderte sich die Welt; nichts war mehr wie zuvor!“, betont Schmitt.
Danach zeigen die Bilder von Stefan Dries unter anderem meterhohe Berge von Unrat, Mobiliar und Fahrrädern: „Hier türmen sich die Existenzen von unzähligen Familien auf, die in jener Nacht alles verloren haben. Fotos von der Geburt, von der Einschulung, von der Kommunion, der Hochzeit oder der Geburt der Kinder – alles ist weg!“ Brücken aus Stein, jahrhundertealt, sind in Einzelteile zerlegt und verschoben.
Bilder, die auch eineinhalb Jahre nach dem bedrückenden Ereignis noch Schmerzen auslösen. Es folgen Bilder von den Aufräumarbeiten: Das Heer der Helfenden versucht den mittlerweile steinharten Schlamm aus den Zimmern zu bekommen, den Putz von den nassen Wänden zu schlagen, Räume trocken zu legen.
Rolf Schmitt befindet sich an jenem Abend des 14. Juli 2021 auf der Heimfahrt von Berlin in seinen Heimatort Marienthal an der Ahr. Bei seinem Versuch in den Ort zu kommen, macht er Fotos, die die aufkommende Katastrophe dokumentieren. Denn in wenigen Stunden entwickelt sich aus „dem beschaulichen Flüsschen Ahr“, die „gewöhnlich eine Tiefe von einem Meter hat“, eine reißende Flutwelle mit unvorstellbarer zerstörerischer Kraft, die sich bis zehn Meter hochtürmt, und sich einen neuen Weg durch das enge Tal bahnt: „Was sich in den Weg stellte, wurde mitgerissen!“
Als Stefan Dries am nächsten Morgen (15. Juli) von der Unwetterkatastrophe und den Folgen erfährt, die das Ahrtal heimsuchte, reagiert er sofort. In seinem Bäckerbetrieb lässt Dries, der familiäre Verbindung an die Ahr hat, Brote schmieren und fährt sie in die Region. Es ist der Beginn der umfassenden Hilfsaktion, die unter dem Namen „Rheingau hilft – solidAHRität“ bekannt wird. Schnell sind Mitstreiterinnen und Mitstreiter gefunden, entsteht auf dem Betriebsgelände des Backhauses Dries ein Logistikzentrum.
Dries: „Wir haben in den ersten Tagen die wichtigsten Utensilien des alltäglichen Lebens zusammengetragen; von der Zahnbürste über Duschgel bis zu Sicherheitsschuhen. Später sind es zum Beispiel Stromaggregate und andere Maschinen.“ Die Transporte von Rüdesheim nach Marienthal oder Kreuzberg an der Ahr werden aufgenommen. Dries: „Hinein in eine Region, die einem Kriegsgebiet glich. Die gesamte Infrastruktur war zerstört, Straßen und Gleise nur noch zu erahnen. Autos türmten sich auf Gebäuden. Teile von Häusern waren von den Wassermassen mitgerissen worden.“
Anke Hubberich, Ortsvorsteherin von Kreuzberg, erinnert sich noch an diese Momente nach dem 15. Juli, als viele Menschen aus ganz Deutschland in die Region fuhren, um – die Autos mit Lebensmitteln und Werkzeug gefüllt – etwas zu tun, „um anzupacken“: „Unzählige Menschen kamen in unser Tal, um zu helfen. Dieses Heer an Freiwilligen war ganz wertvoll für uns. Wir haben gemerkt, dass wir nicht alleine sind, dass die Anteilnahme riesig ist. Alleine hätten wir es nicht geschafft!“
Anke Hubberich und Rolf Schmitt sorgen unmittelbar nach der Unwetterkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 für den Aufbruch in ihren Orten. Sie halten sich nicht mit Lamentieren auf, sondern planen die Aufräumarbeiten und danach den Neuaufbau. „Schon am ersten Abend organisierten wir eine Sitzung der Dorfgemeinschaft am Lagerfeuer, um die wichtigsten Dinge zu besprechen, die getan werden mussten“, erzählt Rolf Schmidt, der „Kümmerer von Marienthal“.
Die Helfenden aus ganz Deutschland kamen und sie kehrten auch immer wieder zurück, um in jeder freien Minute die Bewohner der Ahr beim Wiederaufbau ihrer Heimatregion zu unterstützen; so auch das Team von „Rheingau hilft“. Mittlerweile sind enge Freundschaften zwischen den Menschen an der Ahr und den Helfenden aus dem Rheingau entstanden.
Für diesen uneigennützigen Einsatz für die Menschen im Ahrtal erhielt Stefan Dries nun stellvertretend den Ehrenamtspreis 2022 des Rheingau-Taunus-Kreises, dotiert mit 3.000 Euro. Damit wird sein Einsatz und seine Tatkraft gewürdigt. Landrat Kilian sieht in dem Einsatz einen wichtigen Beweis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Menschen in Deutschland. „Es gibt ein ‚Wir-Gefühl‘ in unserem Land wie auch im Rheingau-Taunus-Kreis“, so Landrat Frank Kilian. Das habe sich gerade in den Tagen nach dem 15. Juli gezeigt, als sich vielen Menschen aus dem Kreis, wie Stefan Dries und seine Mitstreiter, „auf den Weg in das Katastrophengebiet machten“, weil sie helfen wollten.
Marienthal und Kreuzberg – die beiden Orte an der Ahr – befinden sich auf einem guten Weg „raus aus der Zerstörung“. Scheinbar alltägliche Dinge müssen zurückerkämpft werden. Es geht schrittweise voran. Der Wiederaufbau gelingt jedoch. Stefan Dries nennt Marienthal gar „ein Vorzeigedorf“. Doch „Normalität“ wird nach dieser einschneidenden Flutkatastrophe wohl nie mehr einziehen…
Eltville am Rhein, 24. Januar 2023